Das Produkt braucht einen Produktmanager
Autor: Martin Möllmann, Investment Manager des HTGF
Gerade zu Beginn einer Unternehmensgeschichte sind die Ressourcen extrem knapp. Jeder hilft überall aus. Das ist auch in der Produktentwicklung nicht anders. Während etablierte Unternehmen auf eine komplette Struktur aus Produktverantwortlichen, Designern und Entwicklern zurückgreifen können, ist dies bei jungen Startups selten der Fall. Die technische Komponente ist oftmals dabei, doch die anderen Aufgaben werden im Team verteilt oder es werden Externe hinzugezogen.
Während es bei Designaufgaben einfacher ist, diese auszulagern, ist es im Bereich Produktmanagement weniger ratsam. Dies hat vielfältige Gründe.
Kundenfokus und Geschwindigkeit
Vor allem in der frühen Phase eines Produktes ist es wichtig, schnell ein relevantes Feature-Set aufzubauen, das die ersten Kunden überzeugt. Die sogenannten Early Adopter verzeihen kleine Details wie fehlende Ladebalken und mangelnde Informationstiefe, sofern ihr Kernproblem zufriedenstellend gelöst wird. Dafür müssen schnelle Entscheidungen, nahe am Kunden getroffen werden.
Produktentscheidungen sind Strategieentscheidungen
Der Kundenkontakt kann gar nicht hoch genug priorisiert werden. Vielen Annahmen und Ideen, die sich in der Konzeptphase noch sehr relevant angehört haben, können und müssen während der Produktentwicklung direkt am Kunden verprobt werden. Das Feedback der Kunden kann Auswirkungen auf die Strategie des Startups und auf dessen Gesamtausrichtung haben. Der berühmt-berüchtigte Pivot hat in frühen Phasen eine deutliche höhere Erfolgswahrscheinlichkeit, da die Strukturen und das Geschäftsmodell noch wenig ausgeprägt sind und damit einfacher angepasst werden können.
Produktmanagement „nebenbei“ funktioniert nicht
In wenigen Fällen gibt es bereits Produktverantwortliche in den Gründerteams. Meistens wird diese Rolle jedoch vom CEO oder CTO eingenommen, da an diesem Punkt Kunden- und Technologieverständnis aufeinandertreffen müssen. Mittelfristig macht es jedoch Sinn, dass eine gesonderte Stelle für den Bereich Produkt geschaffen wird, um die Geschäftsführung zu entlasten. Denn bei zunehmender Komplexität des Produkts wird aus dieser Aufgabe eine Vollzeitbeschäftigung. Daher sehen wir es oft, dass ein Product Owner bzw. Produktmanager gemeinsam mit dem Tech-Team aufgebaut wird, um das Grundgerüst für weitere Entwicklung zu legen.
Worauf Ihr achten solltet!
Ich war selbst einmal in der spannenden Situation, als erster Produktmanager eines Unternehmens diese Rolle vom CEO zu übernehmen. Zum damaligen Zeitpunkt bestand das Team bereits aus mehreren Entwicklern und es wurde mehr als ein Jahr an dem Produkt gearbeitet, jedoch gab es noch keine aktive Nutzung. Auf die folgenden Punkte kommt es in dieser Situation an:
Prozessstabilität
Der Produktentwicklungsprozess ist gerade in den Anfangstagen oft unstrukturiert und wird mehr „auf Zuruf“ organisiert. Wenn etwas anfällt, ein neues Feature in den Kopf kommt oder ein Early Adopter einen Wunsch äußert, geht es direkt in die Umsetzung. Mit fortschreitender Professionalisierung und einer steigenden Zahl von Involvierten sind diese Zustände jedoch nicht mehr effizient. Ein erster Ansatzpunkt für den Produktmanager ist das Aufsetzen eines funktionierenden Entwicklungsprozesses, oft auf der Basis bekannter Methoden wie Scrum oder Kanban. Neben dem Aufsetzen und Einrichten der passenden Tools muss auch das Team in dem neuen Prozess geschult werden und auf die Einhaltung desselben geachtet werden. Da in der frühen Phase vielmals auf einen Scrum Master oder Agile Coach verzichtet wird, fällt auch diese Rolle dem Produktverantwortlichen zu.
Kanalisieren und Priorisieren
Zu Beginn erscheinen die Möglichkeiten mit einem neuen Produkt oft unendlich. Viele verschiedene Wege können beschritten werden und die Zielgruppe aus unterschiedlichen Richtungen angegangen werden. Diese Optionen müssen korrekt erfasst und bewertet werden, was die Kernaufgabe eines Produktmanagers ist. Zu diesem Zweck gilt es, sich mit möglichst vielen Stakeholdern außerhalb und innerhalb des Unternehmens auszutauschen, um ein vollständiges Bild der Interessen und deren Wichtigkeit für den Erfolg des Produktes zu erfassen. Diese Sammlung von (nicht-)funktionalen Anforderungen wird in einer Liste, oft Backlog genannt, gesammelt und muss anschließend vom Produktmanager eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Im letzten Schritt liegt der Fokus auf der Kommunikation an das Tech-Team und der Umsetzung der priorisierten Punkte.
Kommunikation ist alles
In den bisher angesprochenen Punkten wurde eines deutlich: Kommunikation gegenüber verschiedenen Parteien ist ein integraler Bestandteil der Arbeit des Produktmanagers. Dies darf nicht vernachlässigt werden. Ein stetiger Austausch mit den verschiedenen Stakeholdern sichert dem Produktverantwortlichen ein Überblick über die Entwicklungen im Markt, den Bedürfnissen der Kunden und Herausforderungen innerhalb des Unternehmens.
Die richtige Wahl
Für Gründer ist es wichtig, die Person zu finden, die diese Aufgaben schwerpunktmäßig übernehmen kann. Das ermöglicht ihnen, die Produktentwicklung auf ein neues Niveau zu bringen. Der Kandidat sollte Erfahrung im Bereich Produktmanagement mitbringen und sich unbedingt auch sehr selbstständig organisieren können. Das Arbeiten mit und Administrieren von gängigen Tools wie JIRA, Asana oder Trello ist eine wichtige Eigenschaft, die gerade am Anfang viel Geschwindigkeit freisetzt. Zudem sollte auch auf die langfristige Entwicklungsmöglichkeit der Person geachtet werden, da der erste Produktmanager oft später eine Führungsrolle in der Organisation einnimmt.
Lust mit Martin Möllmann über dieses Thema zu sprechen? Dann schreib ihn einfach an: m.moellmann@htgf.de
Lass dich inspirieren
Abonniere jetzt unseren Newsletter und erhalte monatlich Neuigkeiten aus unserem Netzwerk sowie einen Überblick über Neuinvestments, Anschlussrunden und Exits. Außerdem teilen Expert:innen aus der Venture-Capital-Szene ihr Wissen und Gründer:innen verraten, wie sie ihre Herausforderungen gemeistert haben.