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Um erfolgreich im Life Sciences zu gründen, braucht es kein Unternehmer-Gen“

HTGF-Partner Marco Winzer ist seit der Gründung des High-Tech Gründerfonds mit an Bord. Im Interview spricht er darüber, warum man echtes Unternehmertum in keinem Kurs lernen kann. Trotzdem rät er allen mit einer innovativen Idee dazu, unbedingt selbst zu gründen und erklärt, was man beachten muss, damit das gelingt.


Marco, kommen erfolgreiche Gründerinnen und Gründer eher aus dem BWL-Studium? Oder sind sie eher die Tüftler, Programmierer, Wissenschaftler?

Marco Winzer: Ich kann mich nicht damit zufriedengeben, dass ständig so getan wird, als müssten Gründer und Gründerinnen die kaufmännische Perspektive immer gleich mitbringen. Ich bin überzeugt, dass sich davon einige potenzielle Gründer abschrecken lassen – besonders in der Branche, in der ich unterwegs bin. Also im „Hardcore“ Tech-Bereich Life Sciences und Chemie.

Das musst du einmal genauer erklären, bitte?

Marco Winzer: Ich würde es so formulieren: Unternehmertum wird einem in die Wiege gelegt – oder eben nicht. Nicht jeder ist also ein geborener Unternehmer. Und viele der Tüftler und Wissenschaftler sind das einfach nicht. Trotzdem kann und sollte jede und jeder mit einer guten, innovativen Idee auch gründen.

Was zeichnet den geborenen Unternehmer denn aus?

Marco Winzer: Begeisterungsfähigkeit, ein starkes Verkaufstalent, eine Spürnase für Markttrends und Margenoptimierung sowie Empathie und Überzeugungskraft – das alles braucht man, um sich und seine Idee bei einem Pitch gut zu verkaufen, andere zu überzeugen und emotional mitzunehmen. Das ist schon ein sehr spezifischer Persönlichkeitstyp.

Und trotzdem sagst du, jeder kann gründen, unabhängig davon, ob er diese Eigenschaften mitbringt?

Marco Winzer: Richtig. Und das ist tatsächlich ein provokativer Ansatz, denn ich kenne einige Investoren und andere VCs, die ganz klar sagen: Ein Gründer muss Unternehmertum beherrschen! Als wenn man das in einem Kurs lernen könnte! Die Gefahr besteht, dass der technologisch versierte Gründer viel Zeit, Kraft und Energie für beispielsweise betriebswirtschaftliche Belange aufwenden – um sich als ‚Unternehmer‘ darzustellen. Dabei sollten seine Ressourcen 100% in die Innovation und Produktentwicklung fließen.

Welchen Ansatz verfolgst du?

Marco Winzer: Ich möchte, dass sich auch die Tüftler, Erfinder und Wissenschaftler an uns wenden. Diejenigen, die vielleicht eher introvertiert sind, die an einem Algorithmus basteln oder im Labor einen neuen Wirkstoffkandidaten entwickeln und sich dabei nicht vorstellen können, später mal ihr Medikament auf der Bühne zu verkaufen. Und es wäre fatal, wenn die sich vom klassischen Bild des unternehmerischen Gründers abschrecken lassen. Darum finanzieren wir beim HTGF diejenigen mit einer richtig guten Idee.

Aber ein wenig betriebswirtschaftliches Wissen braucht es ja schon, um erstmal einen Business Plan schreiben zu können, den man dann dem HTGF oder anderen Investoren zeigen kann.

Marco Winzer: Absolut. Aber wer sagt, dass das alles aus einer Hand kommen muss? Im Grunde braucht es doch für eine erfolgreiche Unternehmung drei Persönlichkeitstypen: Den Leonardo da Vinci, einen Manager-Typen und den klassischen Verkäufer, der Kaltakquise im Vertrieb macht und sich nicht zu schade ist, ‚Klinken zu putzen‘. Man sollte von niemandem erwarten, dass ihm alle drei Herzen in der Brust schlagen. Warum auch? Die klassischen ‚serial entrepreneurs‘ zeigen uns doch, wie es geht: Sie oder er weiß, wo die eigenen Stärken liegen, zum Beispiel in der Produktentwicklung und für alles weitere holt man sich andere Talente dazu.

Du suchst also – so wie ich dich verstehe – vor allem nach den Leonardo da Vincis. Was müssen diese mitbringen?

Marco Winzer: Sicherlich wissenschaftliche Exzellenz. Sie sollten in ihrem Bereich, zum Beispiel der Wirkstoffentwicklung, absolutes Expertentum beweisen können. Sie haben mit ihrer Idee das Stadium der Grundlagenforschung verlassen (‚proof of principle‘) und befinden sich im Nachweis des ‚proof of concepts‘. Im Bereich des drug developments heißt das, dass ein Lead-Kandidat mit ersten prä-klinischen Daten vorliegen sollte; in der Medizintechnik beispielsweise sollte der Laborprototyp des devices validiert sein. Und auch wenn es keine wie eben beschriebenen klassischen Unternehmer sind, so sollten sie doch eine gewisse Vorstellung davon haben, wo ihr Produkt am Markt hinsoll – oder, um es anders zu formulieren: Welches Problem (Kundenproblem, medical need etc.) mit dem zukünftigen Produkt adressiert wird.

Was persönliche Attribute angeht, da kommt es insbesondere auf eine bestimmte Reflexionsfähigkeit an und auf die Bereitschaft, zu vertrauen und Rat anzunehmen.

Warum ist das so wichtig?

Marco Winzer: Naja, als Gründer sollte ich so selbstreflektiert sein, dass ich weiß, was ich nicht kann. Und wenn mir eben das Gen zum Unternehmertum fehlt, dann sollte ich die Bereitschaft haben, Leute dazu zu holen, bei denen die unternehmerische Komponente stärker ausgeprägt ist. Dafür muss man sich seine eigenen Stärken und eben Schwächen aber erstmal eingestehen. Im Übrigen: fast 100% der Gründungen, die wir finanzieren, sind Teamgründungen.

Und wie trifft der Leonardo da Vinci auf den European Business School-Absolventen?

Marco Winzer: Das ist tatsächlich eine wichtige Frage. Ich selbst setze mich sehr dafür ein, dass der Austausch zwischen den klassischen Unternehmerschmieden und den eher an naturwissenschaftlicher Forschung ausgerichteten Universitäten noch viel mehr forciert wird. Aber wir beim HTGF sind natürlich auch dazu da, den Business Case zu analysieren und festzustellen, wen es noch im Team braucht. Und da können wir dann auch auf ein sehr breites Netzwerk zurückgreifen und entsprechend vernetzen und miteinander bekannt machen. Die Entscheidung aber, mit wem er gründet, die fällt der Gründer natürlich selbst.

Kannst du ein Beispiel aus eurem Portfolio nennen, wo da Vinci und Unternehmer zusammengefunden haben?

Marco Winzer: Ich habe auf einer Veranstaltung der Universität Leipzig eine Tiermedizinerin kennengelernt, die mir von ihrer Idee erzählt hatte. Ich habe sie damals ermutigt, weiterzumachen. Solche Gespräche führe ich oft und ich gehe dabei nicht davon aus, 6 Monate später immer direkt einen Business Plan vorliegen zu haben. In diesem Fall kam der Business Plan aber nach zwölf Monaten – in der Zwischenzeit hatte sich die Tiermedizinerin mit zwei Personen von der Handelshochschule Leipzig aus dem Entrepreneurship Studiengang zusammengetan. Nochmal zwei Monate später hatten sie die Finanzierung von uns in der Tasche.

Danke, Marco!

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