Ein starkes Plädoyer für das Unternehmertum

Denken Sie Ihr Business ausgehend vom Kundenbedürfnis! Hüten Sie sich vor Arroganz! Diese beiden zentralen Tipps, um Unternehmen zu skalieren, kommen von jemandem, der es wissen muss: Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon gilt als einer der versiertesten Wirtschaftsexperten und Berater Deutschlands. Er ist emeritierter Professor und lehrte an einigen der renommiertesten Universitäten. Im Jahr 1985 gründete er die Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners. Prof. Simon ist Autor von über 40 Büchern, die in 30 Sprachen übersetzt wurden. Seinen Weg beschreibt er in seiner Biografie „Zwei Welten, ein Leben: Vom Eifelkind zum Global Player“. Im Interview verrät er, warum er die deutsche Wirtschaft für sehr innovativ hält, und teilt seine Einschätzung zu Deutschlands Start-up-Landschaft. Ein Gespräch und Plädoyer für mehr unternehmerischen Mut. 


Prof. Simon, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Steigen wir direkt ein: Wie innovativ sehen Sie die deutsche Wirtschaft?

Die deutsche Wirtschaft ist insgesamt sehr innovativ. Allerdings sieht das in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht so aus, auch weil die meisten Innovationen in Deutschland im Hintergrund passieren. Wir haben keine starken Konsumgütermarken wie Procter & Gamble, Coca-Cola, Starbucks oder McDonald’s, sondern sind eher im Bereich der Industriegüter präsent. Die Autos sind hier herauszunehmen, aber das sind eigentlich auch Maschinen, die zufällig an einen Verbraucher verkauft werden. Und das überträgt sich auf die digitale Wirtschaft: Wir sind in digitalen Prozessen und Produkten für die Industrie wesentlich stärker als im Bereich digitaler Konsumgüter.

Prof Simon
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon

Müssen wir unsere Leistungen also mehr in den Vordergrund schieben?

Absolut! Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie präsent Technologie aus Deutschland ist. LSTM – das steht für Long short-term memory. Kennt bei uns fast niemand, obwohl wir es wahrscheinlich täglich mehrfach benutzen. LSTM ist die Software, die hinter Siri bei Apple und Alexa bei Amazon steckt. Sie ist auf mehr als drei Milliarden Smartphones installiert. Der Kopf dahinter ist Jürgen Schmidhuber, ein deutscher Informatiker.
Ein anderes Beispiel bei Smartphones: Laut Tim Cook, dem CEO von Apple, hat das Unternehmen 767 Zulieferer in Deutschland. Eine unglaubliche Zahl und ein deutlicher Beweis dafür, wie stark wir hierzulande eigentlich sind. Wir haben viele Unternehmen in Deutschland, die im Hintergrund agieren und in ihrem Feld die absoluten Innovationsführer sind. Oftmals sieht man sie nur nicht.

Ist das ein Nachteil?

Für den Handel im Bereich B2B nicht so sehr, schließlich kennt ein Einkäufer bei einem Industrieunternehmen den Markt und weiß, welche Anbieter hier die besten sind. Blicken wir jedoch auf das Thema Fachkräfte und Nachwuchs, dann ist es ein großer Nachteil, wenn junge Entwickler unsere Unternehmen nicht kennen. Eine weitere Herausforderung sehe ich bei der Kapitalbeschaffung. Die chinesischen und amerikanischen Hidden Champions im Digitalbereich gehen sehr früh an die Börse, sammeln dort große Summen ein, die sie dann in Wachstum investieren. Während die deutschen Unternehmen in der Regel eher Familienunternehmen bleiben, sich aus dem Cashflow finanzieren und damit – was Expansion und Investition angeht – in den Rückstand geraten.

Kann es Unternehmen helfen, wenn sie intensiver mit Start-ups zusammenarbeiten, auch um die eigene Forschung und Entwicklung voranzutreiben?

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit kann Chancen bieten. Sicherlich nicht für jeden, das kann man nicht pauschalisieren. Viele Firmen halten ihre Forschung ja absichtlich im eigenen Haus, geben Wissen nur ungern heraus. Allerdings gibt es viele Unternehmen – wie etwa den klassischen Maschinenbauer – denen die interne Kompetenz bei bestimmten Technologiethemen wie Künstlicher Intelligenz fehlt. Dort ist es sehr schlüssig, mit jungen, innovativen Firmen zusammenzuarbeiten. Generell kann es helfen, sich mit jungen Menschen zu umgeben. Ich bin nun über 70, habe viel Erfahrung angesammelt, aber der große Innovator werde ich nicht mehr. Junge Leute sind essenziell für Weiterentwicklung und Innovation.

Wie sehen Sie denn die Start-up-Landschaft hierzulande?

Die Start-up-Landschaft ist deutlich besser geworden. Ich denke, der Engpass ist nicht mehr die Zahl der Start-ups, sondern die Skalierung. Es geht um die Frage, wie man aus einem Fünf-Leute-Unternehmen eines macht, das 500 oder 1000 Mitarbeitende beschäftigt.
Das hat auch viel mit der Finanzierung zu tun. Ich habe unlängst einen Artikel von einem Start-up gelesen, das an Raketenantrieben forscht. Die brauchen für ihre Fortentwicklung 100 Millionen Euro. In Deutschland undenkbare Summen.

Wie können wir erreichen, dass wir mit den Innovationen aus Deutschland auch hierzulande langfristig zur Wertschöpfung beitragen?

Ja, das ist eine große Herausforderung – aber kein neues Problem. Ich habe bereits vor 30 Jahren gesagt, wären unsere Firmen im Marketing so gut wie in Forschung und Entwicklung, könnten sie ein Vielfaches an Umsatz machen. Ein Grund liegt in der Ausbildung. Als ich für meinen Postdoc am MIT war, habe ich gelernt, dass die meisten Nachwuchsingenieur:innen dort zusätzlich noch einen MBA machen. Sie studieren Unternehmertum – das wäre bei vielen Naturwissenschaftlern und Ingenieurberufen bei uns sehr wichtig. Aber die gute Nachricht ist, dass sich die junge Generation bei uns nun verändert, hin zu mehr unternehmerischer Denke. Das ist sehr wünschenswert.

Wie skaliert man ein Unternehmen richtig?

Zwei Punkte sind sehr wichtig: Ich muss mein Geschäft vom Kundenbedürfnis her definieren. Nur wenn ich weiß, was meine Kunden zukünftig benötigen, kann ich entlang dieses Bedürfnisses weiterentwickeln. Der zweite Punkt: Hüte dich vor Arroganz! Erfolg ist der größte Feind der Innovation. Mein Eindruck ist, dass deutsche Hidden Champions wenig arrogant wirken. Da habe ich auf meinem Weg viele internationale Firmen getroffen, die davon eher betroffen waren. Viele davon gibt es nicht mehr.

In Ihrer Autobiografie „Zwei Welten, ein Leben: Vom Eifelkind zum Global Player“ beschreiben Sie, wie Sie ihre Beratung aufgebaut haben. Was ist Ihre persönliche Erfahrung, wie baut man ein großes Unternehmen auf?

Meine Frau und ich hatten beide eigentlich solide Karrieren. Sie war Lehrerin und ich an der Universität; klassische Beamtenlaufbahn. Allerdings haben wir beide einen Drang verspürt, unternehmerisch tätig zu werden. Sie gründete ein Medienunternehmen, ich die Beratung. Drei Jahre nach Gründung bekam ich das erste Kaufangebot – da waren wir gerade einmal zwölf Leute. Ich hätte verkaufen können, aber ich wollte Unternehmer bleiben. Mich stört es sehr, dass viele junge Menschen direkt bei den ersten Kaufangeboten einfach abgeben, was sie aufgebaut haben. Ich plädiere stark für den Mut zum Unternehmertum.

Zwei Welten, ein Leben: vom Eifelkind zum Global Player von Prof. Hermann Simon

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