Sebastian Borek im Interview: Gründergeist, KI und ein Zukunftsbild für Europa
Seit Mitte Oktober ist Sebastian Borek Teil der HTGF-Geschäftsführung und verantwortet den Investmentbereich Digital Tech. Gemeinsam mit Romy Schnelle und Dr. Achim Plum bildet er das neue Führungstrio. Im Gespräch erklärt Sebastian, warum Deutschlands Zukunftsfähigkeit ihn antreibt, welche Rolle der HTGF für den VC-Markt und den Innovationsstandort spielt und wie KI neue Geschäftsmodelle ermöglicht und die Venture-Welt verändert.
Sebastian, du bist seit dem 13. Oktober Teil der Geschäftsführung beim HTGF – und das, obwohl du gar nicht auf der Suche warst. Was hat dich gereizt, hier einzusteigen?
Sebastian: Mich fasziniert es, Technologien ganz früh zu entdecken und wirklich am Puls der Zeit zu sein. Diese Welt verändert sich in absurd hohem Tempo und ich liebe es, dort aktiv mitzuwirken. Gleichzeitig treibt mich der übergeordnete Auftrag an: Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas gemeinsam mit Industrie und Politik zu gestalten. Der HTGF ist dafür ideal positioniert. Mit unserem Public-Private-Setup haben die Ressourcen und die richtige Expertise, um wirklich sehr breit aufgestellt zu sein. Unser Team ist nah an der Forschung und europaweit dort vernetzt, wo innovative Technologien entstehen. So können wir Zukunftstechnologien nicht nur identifizieren, sondern in die Anwendung bringen und echten Wert schaffen. Wir verstehen uns als Think Tank für Industrie, Mittelstand und den Wirtschaftsstandort insgesamt.
Du bildest gemeinsam mit Romy Schnelle und Achim Plum das neue Führungstrio. Was macht diese Konstellation für dich aus?
Sebastian: Für mich war das Teamgefüge einer der entscheidenden Punkte. Ich habe Romy und Achim früh im Prozess kennengelernt und sofort gespürt: Das passt. Wir ergänzen uns perfekt – unterschiedliche Erfahrungen, aber ein gemeinsames Verständnis und eine richtig gute Stimmung miteinander. Wir verantworten drei Bereiche mit unterschiedlichen Ökosystemen. Diese Expertise aufzuteilen und gleichzeitig in der Geschäftsführung zu einer ganzheitlichen Strategie zusammenzuführen, ergibt für mich absolut Sinn. Wir denken gemeinsam und handeln in den Investmentbereichen marktgerecht.

Wie hast du den HTGF bisher erlebt?
Sebastian: Ich erlebe den HTGF menschlich wirklich top: ein engagiertes Team mit hoher Leistungsbereitschaft, Verantwortungsgefühl und einer beeindruckenden Kompetenzbreite. Der HTGF ist groß und komplex und umso positiver überrascht bin ich, wie viel Substanz hier schon vorhanden ist und wie gut alles organisiert ist.
Ich führe aktuell viele Gespräche, oft reicht die Zeit gar nicht. Gerade die informellen Begegnungen in der Kaffeeküche oder beim Lunch geben mir ein gutes Gefühl. Bald möchte ich auch unser Berliner und Münchner Büro noch intensiver kennenlernen. Insgesamt bleibt bei mir ein ausgesprochen positiver Eindruck.
Du hast selbst Unternehmen aufgebaut und Ökosysteme geschaffen – von der Founders Foundation bis Hinterland. Wie bringst du dieses Gründerdenken jetzt in den HTGF ein?
Sebastian: Ich habe in den vergangenen Jahren viel darüber gelernt, wie man Unternehmen aufbaut und Ökosysteme schafft. Diese Erfahrungen möchte ich einbringen – dort, wo sie dem HTGF helfen. Gleichzeitig gibt es hier bereits viele Stärken, an die ich anknüpfen möchte. Mein Anspruch ist Best of Both Worlds.
Aus der Hinterland weiß ich, wie man Brücken baut: zu Mittelstand und Industrie, zu Gründerinnen und Gründern, zu Investoren und Politik. Diese Kompetenzen haben wir im HTGF, jetzt geht es darum, sie noch gezielter auszurichten. Bevor ich aber Konzepte von außen übertrage, will ich den HTGF wirklich verstehen. Welche verborgenen Potenziale stecken in der Organisation? Wie können wir sie gemeinsam heben? Dieser Zeitpunkt ist ideal, um das neu zu definieren – und genau daran arbeite ich gerade.
Wie siehst du die Rolle des HTGF im VC-Markt und für den Wirtschaftsstandort?
Sebastian: Der HTGF war vor 20 Jahren Motor der deutschen VC-Szene. Wir haben die Frühphase mit aufgebaut und diesen Auftrag sehr erfolgreich wahrgenommen. Heute geht es darum, wieder Vorbild zu sein. Unsere Public-Private-Struktur gibt uns die Möglichkeit, neue Wege zu gehen und genau das ist unser Auftrag. Wir müssen identifizieren, wo Märkte nicht effizient funktionieren, wo relevante Bedürfnisse entstehen, die andere VCs nicht adressieren. Dort können wir Impulse setzen.
Die Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Transformation. Künstliche Intelligenz verändert weit mehr als Prozesse und hat starke gesellschaftliche Implikationen. Deshalb müssen wir uns fragen: Wie stellen wir uns für die Zukunft auf und welche Schwerpunkte setzen wir?
Das ist eine spannende Phase: Die nächsten 20 Jahre neue Impulse zu setzen, Ökosysteme aufzubauen, Talente in die Gründung zu bringen, Startups mit der Industrie zu vernetzen und so Innovationskraft für den Standort zu schaffen. Diese Mission gilt weiterhin, muss aber neu gedacht und marktgerecht angewendet werden.
Genau das ist Teil unseres strategischen Prozesses: klare Investmenthypothesen entwickeln, die nicht nur aktuelle, sondern zukünftige Marktbedürfnisse adressieren. Wir sind über 100 Köpfe mit unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven. Diese Vielfalt nutzen wir, um eine starke Strategie zu formulieren. Mein Anspruch ist klar: Wir müssen Vorreiter sein und wir können es.
Welche Rolle spielt die enge Anbindung des HTGF an Industriepartner und den Mittelstand?
Sebastian: Unsere enge Anbindung an Industrie und Mittelstand ist einer unserer großen Wettbewerbsvorteile. Wir ermöglichen Startups den Zugang zu etablierten Unternehmen und helfen gleichzeitig der Industrie, früh Innovation zu erkennen und nutzbar zu machen. Die Industrie sucht Lösungen, Startups bringen die Agilität und den Mut, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren. Diese Lücke schließen wir, wie eine Art verlängerter R&D-Prozess für die Wirtschaft.
KI wächst rasant und fordert Gründer wie VCs heraus. Die zentrale Frage lautet: Auf welche Technologie setze ich? Märkte verändern sich schnell, deshalb müssen Produkte, Geschäftsmodelle und auch wir als Investoren heute viel anpassungsfähiger und agiler sein.
Gerade für die Industrie und Familienunternehmen ist das eine enorme Herausforderung. Sie tragen Verantwortung für ihre Regionen und Arbeitsplätze und stehen unter großem Druck. Hier können wir helfen: Wir sind der Partner, der die richtigen Investments identifiziert und Innovation als Wettbewerbsvorteil nutzbar macht. Unsere Rolle ist es, Brücken zwischen Startups und Industrie zu bauen. Und diese Brücke wird durch KI und Transformation noch wichtiger.
Du verantwortest künftig den Investmentbereich Digital Tech. Welche Entwicklungen werden die nächsten Jahre prägen? Wie bereitet ihr euch darauf vor?
Sebastian: KI wird in den nächsten Jahren ein ganzes Spektrum an Geschäftsmodellen verändern. Wir müssen sehr genau hinschauen: Wer wird durch KI disruptiert und wer kann sie nutzen, um schneller zu wachsen? Die Herausforderung: Wir denken häufig linear, doch die technologische Entwicklung ist exponentiell. Gerade im Digital-Tech-Bereich geht alles noch schneller. Das begeistert mich, birgt aber auch Risiken. Wir müssen erkennen, wo echte Substanz liegt: Proprietäre Daten, klare Anwendung, echte unfair advantages.
Deshalb bin ich ein großer Freund von hypothesenbasierten Investments: Wir entwickeln Leitthesen, was sich durchsetzt und welche Auswirkungen das auf Branchen hat und wir validieren diese Hypothesen kontinuierlich. Das ist der einzige Weg, klug zu investieren. Gleichzeitig braucht es tiefes Verständnis für Technologie und Märkte. Heute muss man als Investor inhaltlich auf Augenhöhe mit Gründerinnen und Gründern sein. Nur dann kommt man in die richtigen Cap Tables.
Du hast kürzlich gesagt, Deutschland müsse ein klares Signal senden, dass es Gründerinnen und Gründer anzieht. Wie könnte dieses Signal konkret aussehen?
Sebastian: Diese Frage beschäftigt mich seit über zehn Jahren. Wir sehen, dass die USA aktuell der stärkste Magnet für Gründer ist: größere Runden, höhere Risikobereitschaft, ein Ökosystem, das groß denkt. Das können wir kulturell nicht eins zu eins kopieren, aber wir müssen unsere eigenen Stärken ausspielen.
Deutschland und Europa brauchen ein klares Zukunftsbild. Ein Narrativ, das zeigt: Hier entstehen die Arbeitsplätze und Technologien von morgen. Statt nur zu sagen ‚Wir haben den Anschluss verloren‘, müssen wir neue Felder besetzen – Quantum Computing, Fusionstechnologie, humanoide Roboter.
Das ist kein Wunschdenken, sondern strategische Notwendigkeit. Wir müssen Hypothesen entwickeln, wo wir in zehn Jahren führend sein wollen, und die Kompetenzen dafür aufbauen. Der HTGF kann hier Impulsgeber sein – nicht nur für Deutschland, sondern für Europa. Wir haben die Möglichkeit, Ökosysteme zu vernetzen und Forschung in die Anwendung zu bringen.
Von Lissabon nach Bonn – was nimmst du aus der portugiesischen Startup-Szene mit, das Deutschland guttun würde?
Sebastian: In Lissabon lebt man den europäischen Gedanken viel stärker. Das Ökosystem ist international und Portugal hat sich bewusst als Startup-Hub positioniert. Das zieht an und zeigt: Wenn Politik und Akteure ein klares Zielbild haben, entsteht Dynamik. ‚Attract, don’t chase‘ – das ist die Devise. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, was man sein möchte, und konsequent darauf hinarbeiten.
Dieses Mindset möchte ich auch beim HTGF einbringen: Wir brauchen Netzwerke, internationale Anschlussfähigkeit und ein Narrativ, das zu unseren Stärken passt. Europa hat enormes Potenzial, wir müssen es nur aktiv heben.
Und ganz zum Schluss: Wenn du in drei Jahren zurückblickst, woran möchtest du dich messen lassen?
Sebastian: Das Wichtigste ist für mich, dass alle im HTGF Freude daran haben, zur Arbeit zu kommen und zwar nicht nur, weil wir eine gute Kultur und schöne Büros haben. Sondern weil sie wissen: Das, was wir tun, hat echten Wert. Wir entfalten Zukunftsfähigkeit.
Wenn wir das nicht nur im HTGF, sondern in unserem gesamten Ökosystem schaffen, bin ich glücklich. Ich möchte eine Zukunftsfreudigkeit entfachen, ein Gefühl, dass es jetzt losgeht und dass es Sinn macht. Wenn nicht wir, wer dann? Wenn nicht jetzt, wann dann?








































































