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Wie erkennen Industrial-Tech Gründer den Product-Market Fit?

Part 2: Die analytische und quantitative Perspektive

Von Ingo Fehr und Gregor Haidl (beide Investment Manager)

Unterstützt von Yann Fiebig (Senior Investment Manager), Fabian Hogrebe (Analyst), Dr. Andreas Olmes (Principal)

„Gibt es objektive Kriterien oder KPIs, um zu prüfen, ob mein Start-up auf einem guten Weg ist, den Product-Marktet Fit zu erreichen?“ Nach der Behandlung der emotionalen Perspektive beschäftigen wir uns jetzt mit der quantitativ-analytischen Perspektive des Product-Market Fit. Wir hoffen, dass die in diesem Artikel vorgestellten Indikatoren euch helfen, euren eigenen Product-Market Fit zu beurteilen und zu verbessern.

Inspiriert wurden wir von Christoph Janz‘ großartigem Artikel über Kriterien und Indikatoren, die er für Software-as-a-Service-Unternehmen (SaaS) erstellt hat. Nach unserem Kenntnisstand unternehmen wir in diesem Artikel jetzt den ersten Versuch, einen Satz von Product-Market Fit Kriterien speziell für Industrial-Tech Start-ups zu entwickeln.

Product-Market Fit: Indikatoren passend zu den B2B Vertriebsstufen

Die wichtigste
Erkenntnis, die wir während unserer Diskussionen über diese Kriterien hatten,
war, dass es in allen Reifegraden gute Indikatoren gibt. Sie
funktionieren für Industrial-Tech Unternehmen, obwohl es hier harte und lange
B2B-Verkaufszyklen gibt.

In der
folgenden Abbildung haben wir die Indikatoren zusammengefasst, die wir je nach
Reifegrad eines Produkts oder Unternehmens für nützlich halten:

Stellt es euch wie einen Sales Funnel vor: Viele Ideen treten von links ein, werden entlang des Customer Discovery Prozesses iteriert und die meisten von ihnen sterben. Wenn ihr hart arbeitet und Glück habt, wird mindestens ein/e Idee/Produkt auf die rechte Seite gelangen und den Product-Market Fit erreichen.

Es ist wichtig zu betonen, dass, obwohl der B2B-Verkaufsprozess hier linear dargestellt ist, die erfolgreichen Unternehmen ihren Product-Market Fit kontinuierlich prüfen und Pivots oder Neustarts auch in späteren Phasen durchführen. Deshalb hört nicht auf, die Frühindikatoren weiter zu verwenden, auch wenn ihr die Kunden im Laufe der Zeit immer besser versteht.

Product-Market Fit Indikatoren im Industrial-Tech: Der Deep Dive

Lasst uns noch einmal die Schritte vergegenwärtigen, die Industrial-Tech Start-ups unternehmen müssen, um zu hohen Umsätzen zu kommen. Wir fanden diese Drei für die meisten unserer Portfolio-Unternehmen passend:

  1. Ideation Phase
    Ihr zeigt und beschreibt potenziellen Kunden Eure Idee. Die Hauptfrage eures Kunden lautet: „Könnte dies überhaupt eine mögliche Lösung für mich sein?“
  2. Proof-of-Concept (PoC) zur Pilot Phase
    1. Ihr demonstriert die Funktionalität Eures Produkts/MVP in einem begrenzten (Labor-)Experiment in einer kontrollierten Umgebung. Eurer Kunde bekommt die Antwort auf seine Frage: „Funktioniert das?”
    1. Der Kunde testet euer Produkt in begrenztem Umfang (nur ein Team, nur ein Standort, …). Seine Frage lautet: „Wie gut funktioniert das Produkt unter realen Bedingungen in meinem Unternehmen?“
  3. Produktive Nutzung
    Euer Kunde verwendet euer Produkt in großem Umfang. Aus unserer Sicht passt der Begriff Roll-out für den Beginn dieser Phase sehr gut. Wenn nicht ein anderes Produkt auftaucht, das sein Problem viel besser löst, wird er höchstwahrscheinlich für lange Zeit ein treuer Kunde bleiben und der Product-Market ist temporär erreicht

Ideation Phase: Kunden-Problem und Value Proposition

KPI Schwacher Product-Market
Fit
Starker Product-Market Fit
Problem Priorität Der Kunde kann das Problem, das das gelöst werden soll, nur high-level, unscharf und schwammig beschreiben. Seine Motivation lautet: „Lasst uns innovativ sein und etwas Neues ausprobieren.“ In Referenzgesprächen erwähnen die Kunden den niedrigen Preis oder die gute Zusammenarbeit mit dem Team. Schnelle Reaktionen oder ein 24/7-Service sind Gründe für die Zusammenarbeit mit dem Team. Der Kunde ist oft nicht in der Lage, die Auswirkungen der Lösung auf seine Gewinn- und Verlustrechnung zu beschreiben. Der Kunde ist in der Lage, sein spezifisches Problem auf der Ebene der Root-Cause genau zu beschreiben und ist sich der Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung seines Unternehmens bewusst. Es besteht Dringlichkeit, das Problem zu lösen, und er hat oft schon andere konkurrierende Lösungen ausprobiert, ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erzielen. In Referenzgesprächen können die Kunden klar beschreiben, warum das Produkt des Start-ups ihr Problem effektiv löst: Die Funktionen und die Benutzerfreundlichkeit sind viel besser als jede andere Lösung.
Herkunft des Geldes Innovations Budget Business Unit Budget
Business Case des Kunden Es gibt keine klare, gut begründete, detaillierte Kostenkalkulation des Business Case des Kunden. Wenn alle neuen Belastungen (z.B. Schulung der Mitarbeiter) berücksichtigt werden, bleibt höchstens ein inkrementeller Nutzen übrig. Es gibt eine klare, detaillierte, gut begründete oder sogar validierte Berechnung des Business Cases des Kunden. Der Nutzen des Produkts ist mindestens 3x höher als die Kosten, selbst wenn die zusätzlichen Aufwände für Mitarbeiterschulungen etc. berücksichtigt werden.
Preis
Sensibilität
Hohe Preissensibilität. Extremster Fall: Kunde möchte das Produkt nur dann ausprobieren, wenn es kostenlos ist. Geringe Preissensibilität aufgrund des hohen Wertes der Lösung für den Kunden. Die Gründer erleben eine echte Verhandlungsmacht. Kunden sind bereit, fast alle Bedingungen zu akzeptieren, da sie befürchten, den zukünftigen PoC/Pilot an einen Konkurrenten zu verlieren.

Selbst wenn ihr euer Unternehmen gerade erst gegründet hast, könnt ihr euch von Tag Null an auf bestimmte Indikatoren konzentrieren, um herauszufinden, ob ihr auf dem richtigen Weg seid. Ihr braucht keinen MVP oder gar ein Produkt, um zu verstehen, wie dringend und brennend euer potenzieller Kunde das Problem sieht, das ihr lösen möchtet. Diese Indikatoren bleiben auch in späteren Phasen gültig, da sie die Grundlage für den Product-Market Fit sind. Verglichen mit der folgenden Kategorie Customer Success sind diese Indikatoren eher qualitativ. Daher können hauptsächlich Kundeninterviews und qualitative Umfragen verwendet werden.

Proof-of-Concept
(PoC) zur Pilot Phase: Customer Success

KPI Schwacher Product-Market Fit Starker Product-Market Fit
„Sean Ellis“ Score Keine oder wenige Kunden würden es sehr bedauern, wenn sie das Produkt nicht mehr nutzen könnten.
=> nice-to-have
>40% der Kunden wären
sehr enttäuscht, wenn sie das Produkt nicht mehr nutzen könnten.
NPS NPS
von 0-10 oder tiefer. Das Produkt wird von den aktuellen Kunden nicht aktiv
an potenzielle Kunden empfohlen.
NPS von 10-20 oder höher. Benutzer
empfehlen das Produkt aktiv in ihren Netzwerken.
Nutzung Die
meisten Kunden verwenden das Produkt nicht so häufig, wie man es erwarten
würde.
Die meisten Kunden
verwenden das Produkt (mindestens) so häufig und intensiv, wie angenommen.
Kunden Engagement zu Roll-outs Es
bleibt unklar, wie und wann ein größerer Rollout stattfinden wird. Die Kunden
halten sich nicht an die ursprünglichen Pläne und Zeitleisten.
Die
Kunden einigen sich frühzeitig auf die Kriterien (Ziel-KPIs), die erfüllt
werden müssen, und verpflichten sich zu einem klaren Fahrplan für die
Einführung.
Zeitleisten
und Pläne werden von Euren Kunden eingehalten.

Wir
haben festgestellt, dass die Customer-Success-Kriterien
die besten Indikatoren für Roll-Outs in späteren Phasen sind. Schon in Piloten
oder PoCs könnt ihr herausfinden, ob die Anwender sich mit eurem Produkt
beschäftigen und vor allem, ob sie nicht bereit sind, es wieder herzugeben. Um
diese Kriterien zu messen, müsst ihr mit euren Kunden kommunizieren. Befragt
sie, macht Interviews mit ihnen und erhebt Nutzungsdaten! Fragt mehrmals
„Warum?“, um herauszufinden und zu verstehen, warum das Produkt so
effektiv ist. Diese Kriterien helfen euch in späteren Phasen, Probleme im
Sales, Killer-Features und Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen.

Produktive Nutzung: Pilot
Conversion Pipeline

KPI Schwacher Product-Market Fit Starker Product-Market Fit
Roll-outs Entscheidungen dauern ewig.
Nur Pilotgruppen testen das Produkt.
Die Verkaufszyklen sind viel länger als erwartet.
Großflächiger produktiver Einsatz des Produkts.
Starkes Interesse von Personen außerhalb der
Pilotgruppen. Verkaufszyklen sind kein Problem.
Umsatz pro Kunde Die Kunden zahlen im Verhältnis zu ihrer Größe
unbedeutende Beträge. Ihr könnt eure hohen B2B-Vertriebskosten kaum decken.
Die Kunden zahlen im Verhältnis zu ihrer Größe
einen erheblichen Betrag.
Churn Wichtige Zielkunden churnen Bei
gut eingeführten Kunden liegt der Churn nahe Null.
Ihr
erhaltet „Danke, ihr hast mein Leben so viel besser gemacht!“ Postkarten
(wirklich!)
Inbound Leads Alle
Anfragen sind outbound. Die Leads sind oft Bekannte oder Freunde.
Ihr
verliert die meisten Kunden entlang des Verkaufsprozesses.
Ihr
erhaltet immer mehr qualitativ hochwertige inbound Leads.
Ohne
Werbung spricht sich euer Produkt im Markt herum.

Viele
Vertriebs-KPIs lassen keinen Interpretationsspielraum zu und stehen in direktem
Zusammenhang mit dem Wert eures
Unternehmens, z.B. der Umsatz. Wir schauen uns diese Kriterien genau an, wenn
das Start-up reif genug ist und bereits Produkte im produktiven Einsatz hat. Ab
der Serie A werden Investoren hier noch genauer hinsehen.

Fazit

Nachdem wir all diese Indikatoren vorgestellt haben, ist die schlechte Nachricht: Es gibt keinen Indikator und keine mathematische Formel, die mit absoluter Sicherheit den Product-Market Fit vorhersagt. Es ist gerade bei den frühen Indikatoren schwierig, wirklich quantitative Kenngrößen zu erheben. Die vorgestellten Indikatoren wurden in sorgfältiger Arbeit aus unserer langjährigen VC-Erfahrung abgeleitet. Sie helfen uns, ein Start-up aus verschiedenen Blickwinkeln und zu verschiedenen Zeitpunkten zu bewerten. Die gewonnenen Erkenntnisse sind für unsere Investitionsentscheidungen wertvoll. Darüber hinaus bietet der vorgestellte Rahmen eine Orientierungshilfe bei den strategischen Diskussionen, die wir täglich mit unseren Portfolio-Unternehmen führen.

Wir würden uns freuen, eure Gedanken
zu diesen Indikatoren zu hören! Verwendet ihr andere Kriterien, die hier nicht
aufgeführt wurden? Welche sind euer Meinung nach am wichtigsten?

Im nächsten Teil dieses Blogs stellen wir den Customer-Development-Prozess
vor, den wir bei unserer Arbeit mit den Portfolio-Unternehmen auf dem Weg zur
Product-Market Fit als sehr hilfreich empfunden haben. Bleibt dran!

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