Auf dem Weg zur kommerziellen Kernfusion: Francesco Sciortino von Proxima Fusion im Interview
Story
Das HTGF-Portfoliounternehmen Proxima Fusion hat kürzlich in einer Serie-A-Finanzierungsrunde 130 Millionen Euro eingesammelt, um die kommerzielle Nutzung von Fusionsenergie voranzutreiben.
Wir haben uns mit CEO und Mitgründer Francesco Sciortino zusammengesetzt. Im Interview erklärt er, was dieser Meilenstein für das Team bedeutet, welches Potenzial im Stellaris-Reaktor steckt, wie der Weg aus der Forschung zum Startup verlief und welchen Impact ihr „Alpha“-Demonstrator haben könnte. Außerdem teilt er Tipps für Deep-Tech-Gründer:innen, die sich großen Herausforderungen stellen.
Glückwunsch zur erfolgreichen Finanzierungsrunde! Was bedeutet dieser Meilenstein für das Team und welche Auswirkungen wird es auf eure zukünftigen Ziele haben?
Das bedeutet, dass sowohl unser Ansatz als auch das Team, das wir aufgebaut haben, nun validiert sind. Die enge Zusammenarbeit mit der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland und unser simulationsgetriebener Engineering-Ansatz haben sich als erfolgreich erwiesen.
Wir sind schneller vorangekommen als erwartet und haben das Stellaris-Design sowie unsere Magnettechnologie im Labor fertiggestellt. Jetzt haben wir die Finanzierung gesichert, um unsere Hardware-Meilensteine mit voller Kraft voranzutreiben. Damit sind wir heute das größte Stellarator-basierte Fusionsunternehmen weltweit. Wir haben mehr Kapital eingesammelt als alle unsere Stellarator-Konkurrenten zusammen. Jetzt liegt es an uns – wir müssen liefern.
Welche technologischen Grundlagen stecken hinter eurem Ansatz für Stellaris?
Wir arbeiten im Bereich der magnetischen Einschlussfusion. Dazu zählen sowohl Tokamaks als auch Stellaratoren und weitere Unterkategorien. Ich selbst komme ursprünglich aus der Tokamak-Forschung, dem konventionelleren Ansatz in diesem Bereich. Tokamaks sind ringförmige Magnetsysteme, in denen extrem heißes, ionisiertes Plasma durch verdrehte Magnetfelder eingeschlossen wird.
Stellaratoren funktionieren auf ähnliche Weise. Man könnte sogar sagen, ein Tokamak ist eine Sonderform des Stellarators. Lange Zeit galten Stellaratoren allerdings als technisch zu komplex, um sie zuverlässig zu entwickeln. Doch 2022 erreichte der Stellarator Wendelstein 7-X der Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland seine zentralen Konstruktionsziele. Damit war klar: Stellaratoren sind baubar und sie lassen sich so weiterentwickeln, dass sie nicht nur für die Forschung, sondern auch für den Kraftwerkseinsatz geeignet sind.
Anfang 2023 wurde Proxima Fusion aus dem Max-Planck-Institut ausgegründet, mit dem Ziel, Stellaratoren zur kommerziellen Reife zu bringen. Inzwischen zieht dieser Ansatz weltweit zunehmend Aufmerksamkeit auf sich. Aktuell gibt es acht Unternehmen, die an Stellarator-Technologien arbeiten.
Worin liegt der Unterschied zwischen Proxima Fusion und anderen Akteuren, die im Bereich Fusion arbeiten? Und was ist euer langfristiges Ziel?
Im Vergleich zum größten Tokamak-Unternehmen der Welt, Commonwealth Fusion Systems (CFS), sind alle Stellarator-Startups noch relativ klein. CFS hat bereits mehr als zwei Milliarden Dollar eingesammelt und arbeitet sehr erfolgreich daran, einen Tokamak zu bauen, der dieselbe Art supraleitender Magnettechnologie nutzt wie Proxima Fusion. Wir stimmen in vielen Punkten überein, wenn es um die Gemeinsamkeiten von Tokamaks und Stellaratoren geht. Die physikalischen Grundlagen sind dieselben, doch der entscheidende Unterschied ist, dass gut konstruierte Stellaratoren im Dauerbetrieb arbeiten und vollkommen stabil sind.
Das ist der „Moonshot im Moonshot“, den wir mit Proxima verfolgen. Unser Ziel ist nicht, etwas zu entwickeln, das nur kurzzeitig Energie erzeugt und dabei einen spektakulären Lichtblitz durch Fusion produziert. Vielmehr wollen wir ein echtes Kraftwerk bauen.
Aktuell gibt es rund 60 Unternehmen, die an Fusionsreaktoren arbeiten, davon haben etwa zehn Startups jeweils 100 Millionen Euro oder mehr eingesammelt. Wir befinden uns mitten in einem Wettlauf um den Bau des ersten Nettoenergie-Reaktors und damit auf dem Weg zum weltweit ersten Fusionskraftwerk. Wir werden sehen, wer am Ende die Nase vorn hat!

Wie hat sich der Weg von der Forschung zum eigenen Startup gestaltet? Und welche Erfahrungen waren dabei besonders wichtig?
Wir haben als Physiker begonnen, die Tokamaks und Stellaratoren erforschten. Unser Mitgründer Martin Kubie hat einen Hintergrund im Maschinenbau und war bei Google X tätig. Als Spin-out des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik mussten wir unsere Arbeitsweise anpassen: Wir haben einen stärker ingenieursorientierten Ansatz entwickelt und legen nun einen großen Fokus auf Simulationen, um schnellere Iterationen zu ermöglichen.
Die Geschwindigkeit der Iteration ist entscheidend. Einen gesamten Stellarator kann man nicht iterativ bauen, er ist zu groß. Deshalb ist eine iterative Entwicklung in Originalgröße bei der Hardware-Integration nicht möglich, wohl aber die Integration auf Systemebene in der Software. Dafür muss man jedoch mit einem Fusionskonzept arbeiten, das experimentell validiert ist. Wenn man seinen Modellen nicht vertraut, kann man zwar beliebig schnell iterieren, doch die Ergebnisse bleiben kontinuierlich falsch.
Für uns war entscheidend zu erkennen, dass Stellaratoren heute über eine deutlich ausgereiftere physikalische Grundlage verfügen als noch vor wenigen Jahren.
Als Spin-off der Max-Planck-Gesellschaft glauben wir seit unserer Gründung fest an öffentlich-private Partnerschaften und die Wichtigkeit von guter Zusammenarbeit. Das ist nicht immer einfach. Wir sind zwei sehr unterschiedliche Organisationen, aber entscheidend war immer die gemeinsame, missionsgetriebene Denkweise und das Finden eines gemeinsamen Wegs, damit dieses Projekt starten konnte. Und ich denke, eine Fähigkeit, die wir Europäer noch weiter verbessern müssen, ist, die theoretische Forschung zunehmend in praktische Ingenieursarbeit und operative Umsetzung zu überführen.
Wir haben gelernt, dass die Personalsuche zwar extrem schwierig, aber auch das Allerwichtigste ist: Die richtigen Leute zu finden, ist alles. Die Qualität des Gründerteams ist ein wichtiger Indikator für das, was noch kommt. Aber wirklich entscheidend ist, ob man bessere Leute einstellen kann als sich selbst. Und das, so glaube ich, haben wir ganz gut geschafft. Vielleicht war das in den ganz frühen Tagen noch nicht so klar, aber irgendwie haben wir sehr schnell an Fahrt aufgenommen.
Das Demonstrationssystem „Alpha“ soll 2031 in Betrieb genommen werden und dann mehr Energie produzieren, als es verbraucht. Warum ist dies ein so wichtiger Schritt in Richtung kommerzielle Fusionsenergie?
Das Demonstrationssystem, das wir „Alpha“ nennen, ist ein energieerzeugendes Gerät. Der Prozess der Sterne auf der Erde. Alpha ist noch kein Kraftwerk, sondern eine Demonstrationsanlage, aber es ist so ausgelegt, dass es das letzte Gerät ist, das wir jemals bauen müssen, bevor wir ein Kraftwerk errichten.
Wir sind überzeugt, dass Alpha die richtige Art von Gerät für ein Fusionskraftwerk ist, das kontinuierlich arbeitet und vollkommen stabil ist. Das ist das Besondere an Proxima: Wenn wir Alpha fertigstellen, könnte Proxima eines der wertvollsten Unternehmen der Welt werden. Das hängt jedoch vom Marktwert ab, der im Allgemeinen mit dem Bedarf an sauberer, sicherer und reichlich vorhandener Energie zusammenhängt.
Der Grund, warum wir seit fast 70 Jahren die Fusion verfolgen, ist einfach: Es gibt grundsätzlich nichts Vergleichbares. Wir sprechen davon, schwere Formen von Wasserstoff auf nuklearer Ebene zu verbrennen, also leichte Kerne, schwere Formen von Wasserstoff zu verbinden – nicht Uran, Plutonium und Ähnliches. Diese befinden sich an entgegengesetzten Enden des Periodensystems. Wir hingegen bewegen uns im einfachsten Teil des Periodensystems. Der größte Teil des Universums besteht aus Wasserstoff. Der Brennstoff ist nahezu unendlich.

Wie könnte Fusionsenergie unseren Planeten, unsere Gesellschaft und unser Verständnis von Energie verändern?
Eine Flasche dieses schweren Wasserstoffbrennstoffs könnte die Stadt München eine Woche lang mit Strom versorgen. Nur ein einziger Löffel dieses Brennstoffs entspricht dabei der Energie von 13 Tonnen Kohle. Das ist sicher und keine bloße Theorie. Im Labor können wir das bereits im kleinen Maßstab umsetzen. Wir wissen, dass die Sonne genau auf diese Weise „brennt“. So wird das gesamte Universum angetrieben. Die entscheidende Frage lautet: Können wir das kostengünstig genug realisieren? Und können wir diese Kraftwerke schnell genug bauen? Das wird über unsere Zukunft entscheiden. Es geht nicht mehr um den physikalischen Nachweis des Prinzips, sondern um den technischen und wirtschaftlichen.
Deutschland steht vor einer Energiekrise und Europa vor einer Krise der technologischen Souveränität. Es gab noch nie einen besseren Zeitpunkt, um über die massive Skalierung von Fusionssystemen nachzudenken, ähnlich wie Frankreich in den 1970er Jahren sein Energiesystem um die Kernspaltung herum skaliert hat. Wenn Fusion einen erheblichen Anteil an der weltweiten Energieversorgung übernehmen und wir gleichzeitig schnell handeln wollen, um das Klima in den kommenden Jahrzehnten zu schützen, müssen wir jetzt Wege finden, wie wir zügig 1.000 Kraftwerke bauen können. Das bedeutet, dass wir ein skalierbares System entwickeln müssen.
Was würdest du anderen Deep-Tech-Gründer:innen raten, die vor großen technologischen Herausforderungen stehen?
Kein Platz für Egos, man braucht eine Mission-first-Mentalität. Man muss sich absolut bewusst sein, warum man so viel seines Lebens in etwas investiert. Wir könnten alle etwas tun, das besser bezahlt wird oder mehr Freizeit ermöglicht. Wir sind hier aus Überzeugung, und die Mission ist es wert, einen großen Teil des eigenen Lebens zu investieren. Das muss für die Gründer:innen von Anfang an klar sein.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke!
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