
Mit Leichtigkeit und Wertschätzung: Wie radikale Freundlichkeit Startups stärkt – Nora Blum im Gespräch
Story
Nora Blum ist Psychologin und Mitgründerin von Selfapy, einer digitalen Therapieplattform zur Unterstützung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Das Digital Health-Startup wurde kürzlich vom HTGF-Fondsinvestor MEDICE übernommen. In ihrem neuen Buch rückt sie ein Thema in den Fokus, das in der Startup-Welt selten mit harten Business-Strategien in Verbindung gebracht wird: radikale Freundlichkeit. Im Interview berichtet Nora darüber, wie ein respektvolles Miteinander und authentische Werte gerade in der Frühphase einer Gründung den entscheidenden Unterschied machen können.


Nora, in deinem neuen Buch sprichst du von „radikaler Freundlichkeit“, die nicht nur im privaten, sondern auch im geschäftlichen Kontext ein Erfolgsfaktor sein kann. Was war der Moment, in dem du das für dich erkannt hast?
Nora Blum: Tatsächlich war das kein einzelner Moment, sondern eher ein Prozess. Als ich aus der operativen Geschäftsführung bei Selfapy ausgestiegen bin, habe ich reflektiert, was uns eigentlich von anderen Gesundheits-Startups unterschieden hat.
Der Markt ist sehr herausfordernd, viele Startups sind dort gescheitert. Natürlich gehören viel Glück und gutes Timing immer dazu. Aber rückblickend glaube ich, dass ein Kernfaktor bei uns die Fähigkeit war, starke Beziehungen aufzubauen – zu vielen Vertragspartner:innen ebenso wie zu unseren Mitarbeitenden. Und das, so bin ich überzeugt, hatte viel mit unserer Freundlichkeit zu tun.
Wir haben das Unternehmen immer wertebasiert geführt – mit dem Anspruch, allen Vertragspartnerschaften und Menschen, mit denen wir interagiert haben, freundlich zu begegnen. Das hat sich ausgezahlt: Wir hatten von der ersten Stunde an viele Unterstützende, ein extrem loyales Team und viele Vertragspartnerschaften, die gerne mit uns zusammenarbeiten wollten, weil sie uns eben mochten. Ich glaube wirklich, dass unsere Haltung – unser freundlicher, respektvoller Umgang – einer der Kernerfolgsfaktoren war, warum wir mit Selfapy besonders die ersten schwierigen Jahre geschafft haben.
Was hat in dieser Zeit den Unterschied gemacht?
Nora Blum: In der Anfangsphase hast du wenig Kapital, wenig Erfahrungswissen – du bist extrem auf wohlwollende Menschen angewiesen. Menschen, die dir einen Vertrauensvorschuss geben, vielleicht einen Vertrag mit dir schließen, obwohl dein Unternehmen noch jung ist. Oder Menschen, die dich mit ihrem Wissen unterstützen, ohne sofort eine Gegenleistung zu erwarten.
Wir hatten zum Glück viele solcher Menschen um uns – und ich bin überzeugt, das lag an unserer Freundlichkeit. Das hat ein Umfeld geschaffen, in dem andere gern geholfen haben.
Gründer:innen könnten Angst haben, in harten Verhandlungen mit Investor:innen oder Geschäftspartner:innen zu freundlich aufzutreten – vielleicht mit der Sorge, den schlechteren Deal zu bekommen. Wie zeigt man Freundlichkeit, ohne dabei an Durchsetzungskraft zu verlieren?
Nora Blum: Freundlichkeit bedeutet nicht, allem zuzustimmen oder jede Kondition hinzunehmen. Im Gegenteil: Wir können sehr klar und bestimmt unsere eigenen Interessen vertreten, hart verhandeln – und dabei trotzdem respektvoll bleiben. Und ich glaube das ist ein weit verbreitetes Missverständnis: Freundlich zu sein heißt nicht, sich alles gefallen zu lassen.
Wenn wir unsere Interessen nicht vertreten, sind wir weder uns selbst gegenüber fair noch unternehmerisch klug. Freundlichkeit bedeutet auch, Grenzen aufzuzeigen. Die wahre Fähigkeit liegt darin, genau das zu schaffen und gleichzeitig anderen gegenüber freundlich und respektvoll zu bleiben.
In der Frühphase steht man häufig unter starkem Druck, muss mit Unsicherheiten und Rückschlägen umgehen. Welche Haltung hilft, damit konstruktiv umzugehen?
Nora Blum: Ich bin ein großer Fan von Simon Sineks Buch ‚Das ewige Spiel‘. Wir müssen probieren, das Unternehmen und die Unternehmung als eine Art Spiel zu betrachten, das wichtig ist, das wir aber mit Leichtigkeit und immer mal wieder mit etwas Abstand spielen. Sonst sind wir zu verbissen und machen unseren Wert zu sehr vom Erfolg des Unternehmens abhängig. Wenn wir zu sehr um den Erfolg kämpfen, fehlt uns manchmal der Weitblick, um Dinge neu zu sortieren, also für Kreativität und Pivots.
Eine gewisse Lockerheit und Leichtigkeit in den Prozess zu bringen ist wichtig, damit wir uns nicht selbst frustrieren und erschöpft viel früher aufgeben. Das ist viel einfacher gesagt als getan, aber es hilft, die Gründung mit Freude und Neugier zu betrachten und öfters etwas Abstand reinzubringen, anstatt zu verbissen auf ein Erfolgsziel hinzuarbeiten.
Mit Selfapy warst du in einer Branche unterwegs, in der es viele Hürden gab, als ihr gestartet seid. Welche Rolle hat Freundlichkeit gespielt, um Widerstände zu überwinden?
Nora Blum: Freundlichkeit ist gerade dann entscheidend, wenn man nicht nur auf offene Arme und Jubel trifft. Als wir mit Online-Therapie gestartet sind, gab es viel Gegenwind – vor allem von psychotherapeutischer Seite. Heute sind digitale Therapieangebote in jeder Leitlinie als Standardtherapieoption etabliert, damals wurden wir aber oft sehr kritisch hinterfragt.
Wir haben versucht, im Dialog zu bleiben – ohne aggressiv zu reagieren. Harsche Kritik ist oft Ausdruck von Sorge. Wenn wir das erkennen, können wir respektvoll darauf eingehen.
Auch mit Wettbewerbern haben wir immer partnerschaftlich zusammengearbeitet in den letzten Jahren. Gerade in Branchen, in denen man Veränderungen anstoßen will, Gesetze ändern muss und übergeordnete Ziele hat, bringt es nichts, gegeneinander zu arbeiten. Diese Freundlichkeit und Dialogbereitschaft haben letztlich der ganzen Branche geholfen.
Und wie sieht das im Inneren eines Unternehmens aus? Was kann radikale Freundlichkeit für die Teamkultur tun?
Nora Blum: Eine freundliche Teamkultur steigert Motivation, Kreativität und Produktivität. Gerade im Stress des Startup-Alltags ist das extrem wichtig. Und auch hier gilt: Freundlichkeit bedeutet nicht, dass man kritischen Feedback-Gesprächen aus dem Weg geht. Im Gegenteil – Transparenz und respektvolle Kommunikation sind essenziell, um Konflikte zu vermeiden.
Ich selbst habe früher geglaubt, freundlich zu sein bedeute, nur nette Dinge zu sagen. Heute weiß ich: Das ist ein Irrtum. Wahre Freundlichkeit zeigt sich in der Fähigkeit, auch schwierige Dinge anzusprechen – auf eine Art, die fair und respektvoll bleibt.
Wenn du der Nora, die kurz vor ihrer ersten Gründung stand, einen einzigen Tipp mitgeben könntest – welcher wäre das?
Nora Blum: Nimm die Sache nicht zu ernst. Es ist wirklich die Leichtigkeit, die den Unterschied macht.

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