Von der Forschung zum Markt: Phytonics’ Durchbruch in der Photovoltaik
Die globale Energiewende braucht innovative Technologien. Zu den aufstrebenden Start-ups in diesem Bereich gehört das HTGF-Portfolio-Unternehmen Phytonics. Das KIT-Spin-off hat kürzlich eine selbstklebende Folie für blendfreie Solarmodule auf den Markt gebracht. Diese ermöglicht es Solarmodule in Bereichen einzusetzen, die bislang aufgrund der Blendprobleme ungenutzt blieben. Im Interview gibt Mitgründer Ruben Hünig Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Start-ups und die Herausforderungen bei der Markteinführung. Zudem teilt Ruben seine wichtigsten Learnings aus der Gründungsphase.
Ruben, wie ist es zur Idee für Phytonics gekommen? Was treibt euch an und welche Vision verfolgt ihr?
In meiner Promotion habe ich mich mit verschiedenen optischen Konzepten beschäftigt, um herauszufinden, wie man Licht in Solarzellen effizienter in Strom umwandeln kann. Zufällig habe ich dann einen Vortrag der Biologin Anna Schulte besucht, die aus der bekannten Forschungsgruppe stammt, die z.B. den Lotuseffekt erforscht und publik gemacht hat. Im Vortrag ging es um die optischen Eigenschaften von unterschiedlichen Pflanzenoberflächen, die auf einer Vielfalt an verschiedensten Mikro- und Nanostrukturen basieren. Danach sind wir ins Labor gegangen, und haben mit einem Abformverfahren verschiedene Pflanzenoberflächenstrukturen auf Solarzellen übertragen. Die Ergebnisse, vor allem bei Rosenblüten, waren so gut, dass ich zunächst Zweifel an der Messung hatte. Sie waren aber reproduzierbar und wurden in verschiedenen Experimenten bestätigt. Zusammen mit meinen Mitgründern Benjamin und Raphael, die damals als Masterstudenten an dem Thema arbeiteten, und meinem langjährigen Freund Moritz, der bereits ein anderes HTGF-Start-up erfolgreich gegründet hatte, entwickelten wir die Idee, daraus ein kommerzielles Produkt zu machen. Es hat dann noch drei weitere Jahre gebraucht, bis Benjamin in seiner Dissertation eine Hochskalierung der Mikrostruktur gelang und diese auf echte, kleine Solarmodule übertragen konnte. Die Ergebnisse im Freifeld waren derart gut, dass es wirklich zu schade gewesen wäre, diese in der Schublade verschwinden zu lassen. Im Sommer 2019 fiel dann also der Entschluss, eine Firma zu gründen, die eine bionische, mikrostrukturierte Polymerfolie für Solarmodule verkaufen soll, um den Energieertrag zu steigern. Unsere Vision war von Anfang an, einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende zu leisten.
Und kürzlich ist eure selbstklebende Folie für blendfreie Solarmodule auf den Markt gekommen. Was ist das Besondere daran?
Wie jede Energieerzeugungsart kommt auch die Photovoltaik nicht ohne Emissionen aus – bei Solarmodulen ist es das reflektierte Licht, das mitunter extrem hell sein kann. Die Blendwirkungen, die dadurch entstehen, sind nicht nur ärgerlich für die Nachbarn, sondern können auch die Verkehrssicherheit gefährden. Das läuft dem eigentlichen Charme der Solarenergie entgegen, dezentral und nah am Verbraucher gewonnen zu werden. Bislang gibt es für dieses Blendproblem noch keine gute Lösung, was dazu führt, dass ein großes Potential an ungenutzten Flächen derzeit brach liegt. Mit unserer selbstklebenden Folie, die wir jetzt auf den Markt gebracht haben, werden Solarmodule wirklich „entblendet“. Dadurch wird die Nutzung der Solarenergie in sehr vielen Fällen endlich möglich.
Und welche Herausforderungen hat die Markteinführung mit sich gebracht?
Eine wichtige Lektion, die wir auf dem Weg an den Markt lernen mussten, war, dass fast niemand bereit ist, für einen Mehrertrag an Strom wirklich Geld auszugeben. Erschwerend kam hinzu, dass die Modulpreise stark gesunken sind. Ein zwei Quadratmeter großes Solarmodul mit einer Leistung von 430W kostet heute weniger als 50 Euro. Selbst bei einem Mehrertrag von 10% ergibt sich dadurch kein kostendeckender Aufpreis für eine Beschichtung, bzw. erst bei einer wirklich groß skalierten Produktion.
Die schöne Nebenwirkung unserer Technologie besteht aber darin, dass quasi kein Licht reflektiert wird, was dazu führt, dass die Module blendfrei werden. Das war es, worauf die Kunden wirklich angesprungen sind, weshalb wir unser Produkt auch genau auf das Anti-Blend-Segment ausgerichtet haben. Unsere Folie ist ein Enabler, denn erst durch sie können unsere Kunden Solarenergie nutzen. Die Frage ist also nicht, ob es ein paar Prozent Mehrertrag gibt, sondern ob man 0% oder 100% Ertrag hat. Dadurch ergibt sich auch eine höhere Zahlungsbereitschaft, die uns ermöglicht, kostendeckend zu wirtschaften. Gleichzeitig ist der Beitrag, den unser Produkt zur Energiewende leistet, deutlich größer als bei ein paar Prozent Mehrertrag.
Viele Kunden finden uns durch eigene Recherche, weil ihre Not entsprechend groß ist und sie dringend eine Lösung brauchen. Doch bleibt es für uns eine Herausforderung, den Markt zu informieren, dass es jetzt eine Lösung für das Blendproblem gibt. Das heißt, wir müssen bei den Blendgutachtern, den Ingenieurbüros, Modulhändlern, Installateuren, Architekten usw. bekannter werden, damit unsere Lösung in der Planung von PV-Anlagen berücksichtigt wird. Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, die Folie durch Skaleneffekte immer günstiger anbieten zu können. Das sind aktuell unsere beiden Hauptthemen.
Wie hat euch die Verbindung zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) geholfen und wie habt ihr den Übergang von der Forschung zur Praxis geschafft?
Die Verbindung zum KIT war auf mehreren Ebenen hilfreich. Erstens haben wir relativ günstige Räumlichkeiten bekommen, zweitens konnten wir die Labore und Infrastruktur wie z.B. das Solartestfeld des KIT mitnutzen. Und drittens hat uns sicherlich auch das Renommee beim Fundraising geholfen. Mir fallen noch viele weitere Punkte ein, wie z.B. die Unterstützung bei der Patentanmeldung, dem Vernetzen mit Investoren, Pitch-Trainings oder -Wettbewerbe.
Den Übergang von der Forschung in die Praxis würde ich grob als „Öffnung“ nach außen hin bezeichnen. Während wir anfangs – überspitzt formuliert – noch dachten, alles selbst zu können und zu wissen, haben wir nach und nach gemerkt, wie wertvoll es ist, auf Messen zu gehen, mit Kunden zu sprechen und nach Partnern zu suchen, die schon Expertise auf einem bestimmten Gebiet haben, z.B. bei der Fertigung von Prägewerkzeugen oder der Herstellung von mikrostrukturierten Folien.
Was sind die nächsten Schritte und Ziele für Phytonics?
Wir sind jetzt seit zwei Monaten am Markt und machen gute Umsätze. Unser nächstes Ziel ist, uns am Markt bekannt zu machen und in die Masse zu gelangen. Dafür wollen wir unsere Folie direkt bei Modulherstellern aufbringen. Leider ist die PV-Industrie in Europa mittlerweile sehr überschaubar. Deshalb werden wir mit PV-Herstellern außerhalb Europas zusammenarbeiten.
Welche Ratschläge würdest du Gründer:innen geben, die gerade erst anfangen?
Wenn ich dem Ruben von 2019 heute etwas raten könnte, wären das vor allem diese drei Dinge: Erstens: Sprich so früh wie möglich mit potenziellen Kunden und nimm ihr Feedback ernst. Zweitens: Lass so viel wie möglich von erfahrenen, externen Partnern machen, auch wenn es Geld kostet. Und drittens: Hinterfrage deine Glaubenssätze und schmeiß sie über Bord, wenn es nötig ist.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Ruben!
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